(Mein) Print-Journalismus der Zukunft

Ich habe Zeit meines Lebens für Printobjekte gearbeitet und es geliebt: Tageszeitung, Wochenzeitung, Magazine, Special Interest und auch B2B-Produkte – das ganze Programm. Doch ich sehe Print in Gefahr, weil Papier nicht mit der Schnelligkeit von online mithalten kann oder Werbung in manchen Bereichen zu hohe Streuverluste hat. Daher habe ich mir ein paar Gedanken gemacht, die ich gerne teilen würde. Was braucht der neue (Qualitäts-)Journalismus im Print?

Zeitung muss mehr Orientierung geben. Die Zeitung als Nachrichtenplattform ist für mich nur noch begrenzt vorstellbar. Das war früher anders: Da kam ich aus der Redaktion und wusste, was morgen in der Zeitung steht und ich wusste es vor allen anderen. Die News erreichen mich heute auf anderem Wege, aber nicht mehr durch die gedruckte Zeitung. Die News, wie sie Agenturen liefern, sind austauschbar geworden. Das haben die Leser gemerkt und so wurden Zeitungen beliebig, weil sie alle die gleiche Quelle haben. Zeitungen müssen heute daher zum Navigator in der Informationswelt werden. Recherchieren, aufbereiten und bewerten – darum wird es Zukunft mehr gehen. Journalistische Darstellungsformen wie Reportage und vor allem der Kommentar werden wichtiger für die Orientierung. Und in Print gehören Themen, die den Leser auch wirklich interessieren, und nicht diejenigen, die der Journalist glaubt, was interessieren könnte. Die Zeitung der Zukunft wird schließlich vom Leser bezahlt und weniger vom Anzeigenkunden finanziert.

Nutzwert, Service und Identifikation sind die Schlüsselbegriffe. Dann weiß der Leser auch, wie die Zeitung ausgerichtet ist. Ich will keine Parteienpresse der Weimarer Zeit, aber ich will klare Standpunkte. Als Leser möchte ich mich mit meiner Zeitung identifizieren. Zeitung braucht Tendenz und muss dieser Tendenz treu bleiben.

Daher ist ein Leitbild eines Mediums wichtig. Früher fand ich Leitbilddiskussionen in der Branche schrecklich und heute weiß ich, wie wichtig eine Vision oder Leitbild ist.

In meiner Ausbildung, im Volontariat wurde mir eingetrichtert: Der Journalist ist der Gatekeeper. Das galt, aber es ist vorbei. Der Journalist der Zukunft ist Pathfinder und Gatewatcher. Ich recherchiere und ich beobachte und bringe das zu Papier für meine Zielgruppe. Das ist das Ende der klassischen Massenmedien, wie wir sie heute kennen. Ich schreibe für eine klar umrissene Zielgruppe und nicht für alle. Identifikation der Leser und der verbliebenen Anzeigenkunden mit dem Blatt werden die Folge sein. Das erhöht auch die Wertigkeit von Kommentaren. Ich werde damit zur Marke. Nicht nur die Publikation wird zu einer Marke, nein – auch ich werde zu einer Marke und Marken schaffen Identifikation und Reibung. Der Journalist als Marke gibt dem Medium ein Profil. Das bedeutet, dass der Schwerpunkt weniger auf Information, als vielmehr auf Emotion liegt. Und: Die Schreibe wird boulevard  – sie wird verständlicher, weil emotionaler.

Und das Wachstum hat ein Ende: Ich glaube nicht daran, dass Auflagen bis ins Unendliche gesteigert werden können. Vielmehr muss es gelingen, in meiner Zielgruppe eine Auflagensteigerung zu erreichen oder in der heutigen Zeit zumindest die Auflage zu stabilisieren. Das wäre ein Erfolg.

Für all diese Überlegungen braucht es eine neue Art von Journalisten. Denn es wird dadurch eine neue Art von Qualitätsjournalismus entstehen, für den die User auch bereit sind zu bezahlen. Aber nur für Qualität.

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7 Antworten to “(Mein) Print-Journalismus der Zukunft”

  1. Franz Neumeier Says:

    Eigentlich gibt’s da nicht viel hinzuzufügen – Verleger dieser Welt, lest diesen Beitrag, wenn Ihr wissen wollt, wo Eure Chancen für Print-Publikationen liegen.

    In einem Punkt bin ich allerdings anderer Meinung und glaube, dass das ein sehr wichtiger Punkt ist: Ja, was der Leser will, muss er kriegen. Aber: Das darf’s nicht alleine sein. Denn das findet er auch via Google. Deshalb halte ich auch nach wie vor nichts von der Idee individuell vom Leser zusammengestellter Zeitungen, ob digital oder auf Papier.

    Was Print für mich schon immer ausgemacht hat und meiner Meinung nach in Zukunft sogar das Leben retten kann ist das Unerwartete, das Überraschende. Der Journalist muss dem Leser regelmäßig Themen präsentieren, die seine Zielgruppe interessieren, auf die die Leser selbst aber nicht gekommen wären.

    Wenn Du Deine Kinder fragst: „Was wollt ihr heute Abend essen?“, dann ist die Antwort meist „Spaghetti, Pizza, Pfannkuchen“, sowas in der Art. Machst Du ihnen aber einen leckeren Kartoffel-Auflauf mit knuspriger Kruste und ein paar Speckwürfeln drin, sind sie begeistert – nur von selbst wären sie nicht darauf gekommen. — Das macht Print-Journalismus der Zukunft für mich auch aus: Das Print-Medium muss eine Art Lebensbegleiter sein und den Leser immer wieder überraschen, das Blatt für ihn unentbehrlich machen. Das schafft eine Zeitung, eine Zeitschrift nicht nur durch gute Berichterstattung zu Themen, die der Leser ohnehin schon von sich aus erwartet.

    >Die Zeitung der Zukunft wird schließlich vom Leser bezahlt
    >und weniger vom Anzeigenkunden finanziert.

    Hier liegt glaube ich eine ganz tiefe Wahrheit: Verlage wollen nicht wahr haben, dass Anzeigenumsatz in Zukunft nicht mehr sehr relevant sein wird für Print-Objekte. Zumindest nicht so relevant, dass es sich jetzt lohnt, den letzten Rest an Glaubwürdigkeit und Integrität bei den Lesern zu verspielen durch immer noch anzeigenfreundlicherer Berichterstattung und Themenauswahl.

    >Nutzwert, Service und Identifikation sind die Schlüsselbegriffe.
    >Dann weiß der Leser auch, wie die Zeitung ausgerichtet ist.

    Das ist der Kern. Und ich will hinzufügen: Glaubwürdigkeit = offensichtliche Unabhängigkeit von den inhaltlichen Wünschen der Anzeigenkunden. Und die Verlage müssen endlich aufhören so zu tun, als wäre Print schon fast tot und auf Almosen angewiesen. Mehr Stolz, bitte! Nicht Arroganz, Stolz! Und viel mehr Selbstbewußtsein den Anzeigenkunden gegenüber!

    Anders kann Print nicht überleben. Aber wenn es überlebt, wovon ich trotz aller Starrhalsigkeit der Verlage in Hinblick auf fundamentale Veränderungen überzeugt bin, dann wird das ein sehr stabiler und meiner Meinung nach auch recht profitabler Bereich im Medien-Markt.

  2. Thomas Gerlach Says:

    Sehr guter Beitrag! Auch die Anmerkungen von Franz Neumeier sind gut und richtig. Ich habe mir zu dem Thema ebenfalls ein paar Gedanken gemacht: http://tmgerlach.wordpress.com/2010/06/13/die-neue-mangelware-aufmerksamkeit/

  3. Tillers Says:

    Ich glaub genau so ists. Aber icg frage mich gerade ob dieser Journalismus nicht schon in den Blogs praktiziert wird.

  4. Franz Neumeier Says:

    @Tiller: Das Argument „wird in Blogs doch schon gemacht“ verkehrt glaube ich die Wirklichkeit: Blogs können mit den traditionellen Medien mithalten, weil die so schlecht geworden sind, nicht weil die Blog so gut sind (mit einigen wenigen Ausnahmen, natürlich).

    Ich bin überzeugt, dass klassische Blogs nie die Tiefe, Kontinuität und vor allem Standfestigkeit haben können wie großes Medienhaus, ein Zeitungsverlag. Ich rede nicht von Huffington Post – das ist in diesem Sinne kein Blog mehr, sondern ein gestandenes Medienhaus. Schon allein für juristische Auseinandersetzungen braucht Journalismus einen starken Parner im Hintergrund. Wie soll sich den ein einzelner Blogger gegen eine Heerschar von versierten Anwälten wehren, wenn er einem großen Tier ans Bein pisst, einen Skandal bei der Telekom aufdeckt, eine politische Intrige offenlegt? Ein falsches Wort und das Blog ist weg vom Fenster, weil es sich nicht einmal den Anwalt zur Verteidigung in einem Millionenprozess leisten kann und weil das Risiko, einen solchen prozess durchzuziehen viel zu hoch ist. Ganz unabhängig davon, ob das, was der Blogger schreibt stimmt oder nicht.

    Klar, viele Themen sind juristisch unkritisch. Aber dort, wo Journalismus seinen gesellschaftspolitischen Kontrollzweck erfüllt, kommt ein einzelner Blogger einfach nicht weit.

    Das alles setzt allerdings voraus, das die Verlage sich wieder auf Ihre Stärken konzentrieren, nämlich gut recherchierte Qualität liefern. Ansonsten haben sie heute keine Daseinsberechtigung mehr. Denn wenn sie nicht meh rleisten als einzelne Blogger, dann sind letztere klar im Vorteil.

  5. redaktion42 Says:

    Danke für die engagierte Diskussion. Vielleicht gibt es noch mehr Beiträge

  6. Print und die Zukunft « Thomas Gerlach bloggt. Says:

    […] interessanter Beitrag meines Kollegen Matthias J.Lange über den Printjournalismus der Zukunft: Hier klicken! Einsortiert unter:Journalismus, Medien, Online, Vermischtes, Zeitung […]

  7. zeilenknecht Says:

    Wenn schon nach Stimmen gefragt wird, dann auch etwas Widerspruch. Natürlich bleibt der Journalist Gatekeeper, da Print beschränkten Platz hat. Auch ein „Gatewatcher“ muss das Kreuz haben, nach Selektions- und Kürzungsentscheidungen irgendwann das Blatt mal zuzumachen.

    Flucht in DIE „Zielgruppe“ klappt IMHO nicht, weil es „Zielgruppen“ angesichts der ständig konstatierten Individualisierung immer weniger gibt (sonst würde Internet-Marketing ja nicht so auf individuelle Ausforschung setzen, um die Streuverluste selbst in „Zielgruppen“ zu verringern). In Industrie und Lebensmittelhandel haben sich modernisierte Gemischtwarenläden auch gegen „fokussierte Fachgeschäfte“ behauptet, warum also nicht auch beim Grundnahrungsmittel Information – sicher nicht im „Tante-Emma“-Modell mit Nachbeten der Tagesthemen – auch wenn immer noch das Kreuz fehlt, dem Web die hastige, viertelrichtige Aktualität zu überlassen und eben den im wahrsten Sinn des Wortes fassbaren und überschaubaren Überblick zu bieten (DER Print-Vorteil).

    Bleibt die Frage nach Krititerien: Interesse oder Relevanz. Die empfohlene Boulevard-Methode klappt IMHO weder bei Auswahl noch bei Sprache. Journalisten, die recherchieren, wissen, dass die Welt nicht schwarz oder weiß, sondern grau und nicht eindeutig und klar ist. Anders natürlich, wenn „Recherche“ nur der Sammlung von Material dient, die vorher fertige eindimensionale Schlagzeile so weit wie möglich zu unterstützen. „Identifikation“ wird da künstlich, weil es bei Themen mit Relevanz immer um Konflikte geht – egal, ob bei Abwasserbeiträgen im Dorf oder den Konsequenzen der Energiewende.

    Wenn es aber wirklich um die geforderte Orientierung geht, kommt Journalismus nicht an der Beschreibung von Sachverhalten vobei, die für den Leser weder nur eindeutig noch nur angenehm sind. Welche Orientierung soll es für einen Wanderer sein, nur emotional und damit „verständlich“ den „interessanten“ Weg zu beschreiben, der aber leider an einer Felswand endet? Die mühsame Methode, bei komplizierten Themen Landkarten zu zeichnen, die die Vor- und Nachteile verschiedener Wege so gut wie möglich beschreiben, gäbe die geforderte Orientierung. Zu nüchtern und mühsam eine Zunft, die Themen zu oft nach dem Potenzial für die möglichst unaufwendige persönliche Profililerung bewertet?

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